Teil 1: Was ist Advaita Vedanta?
Eine Einführung in den Yoga der Selbsterkenntnis
Original
von Rory Mackay (Übersetzung Joa)
Was ist Vedanta?
Diese Frage wird mir oft gestellt.
Meine Antwort hängt meistens davon ab, wer die Frage stellt.
Für die breite Masse antworte ich oft, Vedanta sei die
philosophische Grundlage des Hinduismus. Diese Antwort können
die meisten Menschen akzeptieren, auch wenn sie nicht ganz
exakt ist.
Zunächst einmal ist Vedanta keine Philosophie.
Eine Philosophie ist etwas, das sich ein Mensch oder eine
Gruppe von Menschen ausgedacht hat. Sie ist von Natur aus
begrenzt, und besteht aus einer Weltanschauung oder einer Reihe
von Ideen und Konzepten, die durch die persönlichen Annahmen
und Vorurteile einer Person gefiltert werden. Außerdem steht
sie immer im Widerspruch zu konkurrierenden Philosophien.
Vedanta ist nicht das Werk einer einzelnen Person oder einer
Gruppe von Menschen. Er ist außerdem viel mehr als eine
Philosophie. Er ist das, was im Sanskrit als Pramana bezeichnet
wird.
Ein Pramana ist ein Mittel der Erkenntnis, des Wissens.
Im Fall von Vedanta ist die betreffende Erkenntnis der König
oder die Königin allen Wissens: die
Selbsterkenntnis.
Man könnte sich fragen, warum sollte eigentlich irgend jemand
ein Mittel zur Selbsterkenntnis brauchen?
Schließlich gehen die meisten Menschen davon aus, dass sie
bereits wissen, wer sie sind. Dieser Typ ist Mike, und diese
Frau ist Beverly. Einer ist ein Buchhalter, der einen BMW
fährt, und jemand anderes ein Lehrer, der ein Motorrad fährt.
Eine mag Pizza und ein anderer Gin.
Aber denke einen Moment lang über Folgendes nach:
Was wäre, wenn alles, was du jemals über dich gedacht oder für
wahr gehalten hast, in Wirklichkeit nichts weiter ist, als ein
Gedanke und eine Vermutung?
Was, wenn die Person, für die du dich immer gehalten hast,
nichts weiter ist, als ein Konzept in deinem Kopf? Und was,
wenn dieses Konzept tatsächlich die Quelle all deines Leidens
und deiner Unzufriedenheit im Leben ist?
Eine Frage der Identität
Was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, ist seine
Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Tiere sind intelligent und empfindungsfähig und verfügen über
einen rudimentären Intellekt. Demgegenüber sind wir Menschen
insofern einzigartig, als wir ein ausgeprägtes Ich- oder
Ego-Empfinden haben. Wir haben ein Empfinden für das, was wir
denken, zu sein und was wir sein sollten. Dies hat es uns
ermöglicht, die dominierende Spezies auf diesem Planeten zu
werden, Zivilisationen aufzubauen und zu bewahren sowie zu
erkunden, zu erforschen und Neues zu erfinden.
Es ist jedoch auch die Ursache unserer größten Fessel.
Vedanta zufolge liegt die Quelle unseres Leidens in der
Fehlidentifikation mit einem begrenzten und fehlerhaften
Empfinden unseres Selbst.
Wie der verstorbene großartige Vedanta-Lehrer Swami Dayananda
sagte:
„Es ist die Herrlichkeit des Menschen, dass er sich seiner
selbst bewusst ist. Das Selbst, dessen er sich bewusst ist, ist
jedoch kein vollwertiges, ausreichendes Selbst. Es ist
bedauerlicherweise ein unzulängliches, unvollkommenes
Selbst.“
Das Problem mit der Selbsterkenntnis ist ganz einfach: Das
'Selbst', dessen wir uns bewusst sind, ist möglicherweise nicht
akzeptabel für uns. Wahrscheinlich ist es sogar ein höchst
unbefriedigendes Selbst. Wenn wir glauben, dass wir unser
Körper, unser Geist, unsere Emotionen oder unser Ego sind,
erleben wir unweigerlich ein Gefühl von Begrenzung, denn all
diese Aspekte sind von Natur aus begrenzt.
Dieses Pseudo-Selbst, das bei näherer Untersuchung nur ein
Haufen unhinterfragter Annahmen ist, verschleiert unsere wahre
Natur.
Vedanta erklärt uns, dass wir weit mehr sind, als wir uns
jemals vorzustellen gewagt hätten - dass wir bereits
vollständig und vollkommen sind - und dass unser Gefühl der
Begrenzung aus der Identifikation mit dem resultiert, was wir
nicht sind.
Vedanta ist vielleicht die älteste Form der Psychologie auf
diesem Planeten. Vedanta ist eine Wissenschaft des
Bewusstseins, die uns mit unfehlbarer Logik hilft, die
Natur des Selbst, des Bewusstseins und der Realität selbst zu
verstehen.
Universell ausgerichtet, befasst Vedanta sich mit den Fragen,
mit denen die Menschheit seit Anbeginn der Zeit gerungen
hat:
Wer bin ich?
Was bin ich?
Woher stammt das Universum?
Was ist der Sinn des Lebens?
Auch hier ist Vedanta keine Philosophie. Es nicht einer
einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen zuzuschreiben.
Es ist ein Wissensschatz, der im Laufe der Zeit offenbart,
sorgfältig ausgearbeitet und über Jahrtausende bewahrt
wurde.
Vedanta ist auch keine Religion. Obwohl es um theologische
Themen geht, funktioniert Vedanta ohne jeglichen religiösen
Schnickschnack. Deshalb ist es nicht notwendig, dem Hinduismus
oder zu einer anderen Religion anzugehören.
Alles, was man braucht, ist ein offener und hinterfragender
Geist.
Das Ende des Wissens
Das Wort Vedanta leitet sich von den Wörtern Veda und Anta ab,
die zusammen „das Ende des Wissens“ bedeuten.
Vedanta basiert auf den Lehren der alten indischen Veden, die
die Grundlage für Sanatana-Dharma (was wir „Hinduismus“ nennen)
bilden.
Diese Texte, vier an der Zahl, datieren Tausende von Jahren
zurück und gelten als „offenbartes Wissen“. Mit anderen Worten,
sie sind nicht ein Produkt des menschlichen Geistes, sondern
wurden von den alten Rishis (Sehern) in tiefer Meditation
empfangen und über unzählige Generationen hinweg in Form von
Sanskrit-Mantras weitergegeben. Dies erfolgte auf eine Weise,
die die Lehre vor Veränderungen und Verfälschungen geschützt
hat.
Die Veden lassen sich in zwei Teile unterteilen.
Der erste und umfangreichste Abschnitt jedes Vedas wird
Karma-Kanda genannt. Hier geht es um die Erfüllung der eigenen
irdischen Ziele und Wünsche. Darin werden Rituale und
Handlungen beschrieben, die bei jedem Aspekt des weltlichen
Lebens helfen sollen. Man könnte sagen, dass sich der
Karma-Kanda der Veden mit den unteren Stufen von Maslows
Bedürfnispyramide befasst, der Basis des weltlichen
Lebens.
Der zweite Abschnitt, der Jnana-Kanda, erscheint in Form der
Upanishaden.
Das Wort „Upanishad“ bedeutet „zu Füßen sitzen“. In diesem
Zusammenhang zu Füßen eines Lehrers mit vedantischem Wissen.
Dieses Wissen zielt nicht auf weltliche Bestrebungen ab,
sondern auf spirituelle Verwirklichung in Form von
Selbsterkenntnis und Befreiung.
In Form von Dialogen und poetischen Geschichten behandeln die
Upanishaden Fragen der Existenz, der Realität und der Natur des
Selbst. Es gibt über zweihundert bekannte Upanishaden, von
denen zehn als Haupt-Upanishaden betrachtet werden.
Vedanta stellt eine systematische Entfaltung der Lehren
der Upanishaden dar. Er befasst sich mit der Frage der
Selbstidentität und der Befreiung von weltlichem
Leid.
Da hier die Lehren derjenigen Upanishaden, die den Abschluss
eines jeden Veda bilden, herausgearbeitet werden, wird es als
Vedanta (das Ende der Veden) bezeichnet. Ein anderes
Verständnis des Begriffs Vedanta („das Ende des Wissens“)
besteht darin, dass er jede weitere Suche nach Wissen beendet.
Denn der Gegenstand von Vedanta ist Selbsterkenntnis, Raja
Vidya („der König des Wissens“). Wissen, das nichts mehr zu
wissen oder zu erreichen übrig lässt.
Der dreifache Kanon
Um die Lehren der Upanishaden zu vervollkommnen und zu
verdeutlichen, wurde zusätzliche Literatur geschaffen, um die
Lehren zu erläutern und alle scheinbaren Widersprüche
aufzulösen.
Die wichtigsten von ihnen sind im Vedanta die Brahma-Sutras und
die Bhagavad Gita. Zusammen mit den Upanishaden bilden sie das,
was als „der dreifache Kanon des Vedanta“ bezeichnet
wird.
Die Badarayana zugeschriebenen Brahma-Sutras sind eine Reihe
von Aphorismen, die die Lehren der Upanishaden umfassend und
gründlich erläutern und klarstellen.
Die Bhagavad Gita gehört zu Vyasasas großem Mahabharata-Epos
und ist eines der bekanntesten Werke der indischen
Literatur.
Das Buch spielt auf einem Schlachtfeld am Vorabend einer großen
Schlacht und ist in Form eines Dialogs zwischen dem edlen
Krieger Arjuna und seinem Wagenlenker und Lehrer Krishna, einem
Avatar bzw. eine Verkörperung des Göttlichen,
geschrieben.
Anhand Krishnas Lehren behandelt der Text die Themen Handlungen
und Verpflichtungen, Meditation, Hingabe, Verständnis der Natur
des Selbst und Erlangen von Befreiung und Erleuchtung.
Die Gita ist ein bedeutsamer Text, der die Kernaussagen des
Vedanta in einer bemerkenswert poetischen und zugleich
praktischen Weise wunderschön darlegt.
Der Einfluss von Shankara
Einer der wichtigsten Beitragenden zum Vedanta war im 8.
Jahrhundert der Visionär Adi Shankara, auch Shankaracharya
genannt (acharya bedeutet „großer Lehrer“ in Sanskrit).
Shankara reiste durch ganz Indien, gründete Schulen, beteiligte
sich an öffentlichen Debatten und verdichtete durch seine
umfangreichen Kommentare und ein voluminöses Werk die Lehre zu
dem, was sie heute ist.
Zu Shankaras Zeit war das, was wir als Hinduismus bezeichnen
(der Begriff „Hinduismus“ wurde in Wirklichkeit von westlichen
Anthropologen in Bezug auf das, was besser als
„Sanatana-Dharma“ bekannt ist, geschaffen), eine heterogene
Mischung verschiedener Traditionen auf Grundlage der Veden. Vor
allem in der Brahmanen- oder Priesterkaste war Korruption weit
verbreitet, und die Botschaft der Veden wurde verfälscht.
In seinem kurzen Leben reformierte und vereinheitlichte
Shankara das Sanatana-Dharma, das zu dieser Zeit zunehmend vom
Buddhismus verdrängt wurde, der seinerseits ein Ableger der
Veden war.
Mit seinem messerscharfen Intellekt brillierte Shankara in den
öffentlichen philosophischen Debatten der damaligen Zeit. Die
Verlierer dieser Debatten mussten die Position des Siegers
akzeptieren oder den Schwanz einziehen und die Stadt
verlassen.
Als lautstarker Kritiker von Elementen der buddhistischen Lehre
pflegte Shankara bei diesen öffentlichen Debatten buddhistische
Gelehrte niederzuschmettern. Der nachfolgende Niedergang des
Buddhismus in Indien wird oft Shankara zugeschrieben, ebenso
die anschließende Wiederbelebung und Renaissance des
Sanatana-Dharma.
Dennoch vermuten manche, dass Elemente der buddhistischen
Philosophie dabei geholfen haben, Shankaras Reformation dessen,
was als Advaita Vedanta bekannt wurde, zu gestalten.
Das Wort „Advaita“ bedeutet „nicht-zwei“ und bezieht sich auf
die nicht-duale Natur der Wirklichkeit, wie sie von den
Upanishaden offenbart wurde.
Shankaras Kommentare zu den Upanishaden, der Bhagavad Gita und
den Brahma-Sutras gelten als wegweisende Schriften und trugen
dazu bei, die Lehre zu einer klaren und vollständig
erarbeiteten Vision zu konsolidieren.
In den Jahrhunderten nach Shankara sind einige Ableger des
Vedanta entstanden, wie z.B. die Dvaita- und
Vashishtadvaita-Schulen, die eine dualistischere Interpretation
der Upanischaden vertreten. Shankaras Advaita Vedanta bleibt
die älteste, einflussreichste und für viele die maßgebende
Präsentation des Vedanta.
Eine vollständige Lehre
Vedanta wird auf eine strukturierte Weise gelehrt.
Die Lehre entfaltet sich als eine spezifische Abfolge von
Logik, die den Schüler nicht nur zum Verstehen, sondern zur
vollständigen Integration und Verwirklichung der Essenz der
Lehre befähigt.
Das Resultat der Lehre ist ein völlig anderes Verständnis von
sich selbst und dem Leben. Es verändert für immer deine
Beziehung zur Welt der Objekte.
Anstatt auf äußere Objekte wie Menschen, Situationen
und Errungenschaften für flüchtige Momente des Glücks zu bauen,
entdeckst du eine grenzenlose Quelle des Glücks und der
Ganzheit in deinem eigenen Selbst.
Dies wird Moksha oder Befreiung genannt. Manche Menschen nennen
es Erleuchtung. Ich nenne es einfach Freiheit. In gewisser
Weise ist Vedanta eine Landkarte für Freiheit.
Vedanta wird traditionell nur solchen gelehrt, die reif sind,
die Lehre zu hören. Es macht wenig Sinn, hineinzutauchen und
wieder auszusteigen, gelegentlich Bücher zu lesen und den einen
oder anderen Vortrag zu besuchen.
Man muss den Geist zuerst darauf vorbereiten, die Lehre zu
erfassen und zu verinnerlichen. Diese Lehre mag auf den ersten
Blick radikal und kontraintuitiv erscheinen, aber nach
gründlicher Reflektion macht sie vollkommen Sinn.
Vedanta erfordert einen klaren und offenen
Geist.
Du musst bereit sein, alles loszulassen, was du bereits zu
wissen glaubst, und die Lehre, so wie sie von einem erfahrenen
Vedanta-Lehrer entfaltet wird, sorgfältig zu durchdenken.
Insofern ist Vedanta nicht für jedermann geeignet, denn es
erfordert den Einsatz von Zeit und Mühe. Bis vor kurzem war
Vedanta so etwas wie ein geschlossenes System, das in Indien
nur von qualifizierten Lehrern unterrichtet und in Sanskrit
vermittelt wurde. Während Yoga und Buddhismus im vergangenen
Jahrhundert problemlos in den Westen gebracht werden konnten,
war der Einfluss von Vedanta eher subtil.
Obwohl nur wenige in der breiten Öffentlichkeit jemals den
Begriff „Vedanta“ gehört haben, ist sein Einfluss dennoch
allgegenwärtig. Die Kernbegriffe des Vedanta haben eine
Vielzahl anderer Lehren zutiefst beeinflusst und inspiriert,
darunter den Buddhismus und im Westen die theosophische
Bewegung und ihre New-Age-Ableger, die New-Thought-Bewegung und
viele westliche Denker und Autoren.
In der aktuellen Spiritualität ist die Szene der „Nondualität“
(zu der Lehrer wie Eckhart Tolle, Adyashanti und Mooji gehören)
im Wesentlichen eine Neuverpackung der zentralen Konzepte des
Vedanta. Diese Advaita- (oder Neo-Advaita-) Lehrer bedienen
sich der grundlegenden Elemente des Vedanta. Ihre Lehren haben
einen gewissen Wert, der jedoch eingeschränkt ist, weil sie es
nicht schaffen, ein vollständiges Bild zu vermitteln.
Vedanta ist ein System. Es funktioniert, indem man der Lehre
vom Anfang bis zum Ende der Reihe nach folgt. Es macht keinen
Sinn, vorwärts zu springen, bevor die Logik jeder Stufe
verstanden und akzeptiert worden ist.
Dieser Ansatz gefällt nicht jedem. Viele westliche spirituelle
Sucher bevorzugen einen rebellischeren Ansatz, „folge deinen
eigenen Vibes“. Sie glauben, dass Erleuchtung nicht gelehrt
werden kann, dass Worte nicht ausreichen und die Wahrheit nur
von innen kommt. Für sie scheint es nicht sehr punkig zu sein,
sich hinzusetzen und jemandem zuzuhören, der aus
jahrhundertealten Texten lehrt.
Trotzdem ist dies die Art und Weise, wie die Lehre funktioniert
- und sie funktioniert!
Die Problematik, die auftritt, wenn man seinem eigenen Weg
folgt und nur dem folgt, bei dem man Resonanz empfindet, ist
der Todfeind eines unterscheidungsfähigen Geistes:
Bestätigungsfehler (die Neigung, Informationen so auszuwählen,
zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen
Erwartungen erfüllen).
Bestätigungsfehler (Voreingenommenheit) sind eines der
größten Hindernisse für die
Selbsterkenntnis.
Aufgrund dieser fest verdrahteten geistigen Tendenz sucht oder
beachtet man nur das, was man ohnehin schon glaubt und womit
man einverstanden ist. Anstatt zu lernen, verbringen wir also
unser Leben damit, unsere Unwissenheit zu verstärken. Und diese
Unwissenheit ist, wie Vedanta betont, der Kern unseres
Leidens.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es im Vedanta darum geht,
gedankenlos eine neue Weltanschauung, Doktrin oder eine Reihe
von Überzeugungen anzunehmen.
Es wird von dir als Student nicht erwartet, dass du blind
akzeptierst, was dir beigebracht wird. Auf jeder Stufe
reflektierst und erwägst du sorgfältig die Lehren, um ihre
Richtigkeit zu überprüfen. Es wird von dir erwartet, sie in
Frage zu stellen, Zweifel zu klären und alles von allen Seiten
zu betrachten.
Erfahrung und Erkenntnis
Letztendlich geraten die meisten aufrichtigen spirituellen
Sucher in eine Sackgasse.
Sie kommen an einen Punkt, an dem ihnen klar wird, dass sie
sich selbst nach Jahrzehnten der Meditation, des Yoga und
vielleicht gelegentlichen Samadhis und Offenbarungen immer noch
kein bisschen verändert haben. Ihre spirituellen Erfahrungen
kommen und gehen, aber ihre Selbsterfahrung und ihr Leben - und
ihr existentielles Leiden - haben sich nicht wesentlich
verändert.
Es braucht einen reifen Sucher, um zuzugeben, dass spirituelle
Erfahrungen, so glückselig und wundervoll sie auch sein mögen,
kommen und gehen und selten dauerhafte Veränderungen
bewirken.
Erfahrungen beenden das Suchen nicht. Wenn überhaupt, dann
verstärken sie das Suchen und damit das Ego, denn in dem
Moment, in dem man einen Geschmack von Glückseligkeit genießt
und er sich wieder verflüchtigt, sehnt man sich sofort nach
mehr.
Solange dein Glück auf psychologischer Ebene von irgendeinem
äußeren Faktor abhängig ist, bleibst du im Rad von Samsara
gefangen - einem sich selbst aufrechterhaltenden Kreislauf von
Suchen, Begehren und Unzufriedenheit.
Erfahrung, also das Ergebnis von Handlungen, kann keine
dauerhafte Veränderung bewirken.
Erfahrung kann dauerhafte Veränderungen nicht bewirken, weil
sie, wie alles Wahrnehmbare, an Zeit gebunden ist. Daher
erklärt Vedanta, dass der Versuch, Objekte und Erfahrungen zu
manipulieren (und dazu gehört auch die Manipulation des
Geistes), nicht zu dauerhafter Freiheit führen kann.
Was jedoch zu dauerhafter Freiheit führt, ist
Erkenntnis/Wissen.
Vedanta behauptet, dass unser Leiden - das Gefühl, ein
unzulänglicher, begrenzter Mensch zu sein, der ständig Objekten
und Erfahrungen nachjagen muss, um glücklich und vollständig zu
sein - auf der Unkenntnis unserer Natur beruht.
Das einzige Heilmittel für Unwissenheit ist Wissen. Wissen
zerstört die Unwissenheit so schnell, wie Licht Dunkelheit
vernichtet.
Vedanta ist bekannt als Jnana-Yoga, der Yoga des
Wissens.
Es erfordert einen reifen Geist.
Vedanta lehnt Meditation und Yoga nicht ab. Tatsächlich werden
Meditation und Yoga als notwendige Praktiken (Sadhanas)
angesehen, um den Geist darauf vorzubereiten, die Lehre zu
empfangen. Diese Praktiken werden nicht als Selbstzweck
betrachtet, sondern als notwendige Mittel zur Kultivierung
eines reinen und qualifizierten Geistes.
Es gibt einen Grund dafür, dass von den vielen Hunderttausenden
von Suchenden auf der Welt nur einige wenige Erleuchtung
„erlangen“. Das liegt nicht an der willkürlichen Hand des
Schicksals. Es liegt daran, dass nur diese wenigen die
notwendige Vorarbeit geleistet haben, um einen hinreichend
ruhigen, unterscheidungsfähigen, leidenschaftslosen und klaren
Geist zu kultivieren. Das ist die wichtigste Qualifikation für
Vedanta.
Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen, wenn du noch nicht
'qualifiziert' bist. Vedanta vermittelt Karma-Yoga, Bhakti-Yoga
und Meditation. Diese Mittel dienen dazu, den Geist zu meistern
und unsere tief verwurzelten Begierden und Abneigungen zu
neutralisieren, die sich im Laufe unseres Lebens angesammelt
haben, um für uns eine Welt des Leidens zu erschaffen.
Eine nicht-duale Wirklichkeit
Wir leben in einer Welt von vermeintlicher Dualität. Einer
Dualität von Subjekt und Objekt, von mir, dir und der
Welt.
Die wesentliche Lehre des Vedanta ist jedoch, dass die Realität
trotz allem Anschein in Wirklichkeit nicht-dual ist.
All die scheinbar voneinander getrennten Wesen und Bestandteile
dieser Dualität sind in Wirklichkeit Ausdruck von - und
Erscheinungen in - demselben universellen Bewusstsein (Brahman,
dem Selbst).
Darüber hinaus sind wir von diesem Bewusstsein nicht
verschieden. Tatsächlich ist es die Essenz dessen, was wir
sind.
Denk mal über Träume und die Traumwelt nach. Wenn du schläfst,
erscheint ein ganzes Universum von Formen, Orten, Objekten und
Menschen vor dir, und du identifizierst dich mit einem
bestimmten Teil davon. Alles im Traum ist jedoch nur ein
Ausdruck von - und eine Erscheinung in - dem träumenden
Bewusstsein. Außerhalb von Bewusstsein hat der Traum keine
Existenz oder Realität.
Alles, was du erlebst - die Welt der Objekte, Formen
und Erfahrungen - erscheint innerhalb von
Bewusstsein.
Es ist tatsächlich unmöglich, etwas außerhalb von Bewusstsein
zu erfahren.
Nimm dir einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken. In jedem
Augenblick übermitteln deine Sinne alle möglichen Daten.
Objekte nimmst du als außerhalb von dir wahr: Wände, Möbel,
Häuser, Bäume, Menschen, Berge und Wolken.
Aber WO erfährst du diese Objekte tatsächlich?
Es mag so erscheinen, als würdest du sie außerhalb von dir
selbst erfahren.
Aber in Wirklichkeit übermitteln die Sinne lediglich Signale,
die es dir ermöglichen, Repräsentationen dieser Objekte in
deinem Geist zu erleben, in deinem eigenen Bewusstsein.
Außerhalb von Bewusstsein kannst du nichts
erfahren.
Bewusstsein ist der Urgrund deiner Existenz, und die
Basis deiner Realität.
Der Inhalt deines Bewusstseins ändert sich ständig, aber
Bewusstsein selbst bleibt unveränderlich und
unbegrenzt.
Bewusstsein, reines Gewahrsein, ist der ewige Faktor, der
niemals geleugnet werden kann, die eine Sache, die dir niemals
genommen werden kann.
Es braucht Zeit, um dieses radikal andere Verständnis der
Wirklichkeit vollständig zu erfassen und zu integrieren. Doch
die Lehren des Vedanta beweisen auf vielfältige Weise und mit
unfehlbarer Logik, dass alles, was du jemals erfährst - und
alles, was du letztlich schon immer bist - in Wirklichkeit
Bewusstsein ist.
Dadurch löst sich mit der Zeit deine Identifikation mit der
begrenzten Körper-Geist-Ego-Einheit auf, für die du dich selbst
gehalten hast. Sie ist nur eine Überlagerung in Bewusstsein und
im wahrsten Sinne des Wortes die Quelle all deiner
Probleme.
Du entdeckst eine weitaus umfassendere Identität als
Bewusstsein, und das Ergebnis ist die Freiheit von den Leiden
Samsaras.
Die Veden erklären diese Freiheit, Moksha, zum höchsten Ziel
des menschlichen Lebens.
In Wirklichkeit gibt es nichts besonders mystisches oder
magisches an Erleuchtung. Es ist einfach ein Gefühl frei von
Begrenzungen, frei von Leiden, hervorgerufen durch das Wissen
um das eigene Selbst und die Realität, wie sie tatsächlich
ist.
In einer Welt, in der Wissen Macht ist, ist ultimatives Wissen
- Selbsterkenntnis - nichts weniger als Befreiung.

Eine Einführung in den Yoga der Selbsterkenntnis
Original
von Rory Mackay (Übersetzung Joa)
Was ist Vedanta?
Diese Frage wird mir oft gestellt.
Meine Antwort hängt meistens davon ab, wer die Frage stellt.
Für die breite Masse antworte ich oft, Vedanta sei die
philosophische Grundlage des Hinduismus. Diese Antwort können
die meisten Menschen akzeptieren, auch wenn sie nicht ganz
exakt ist.
Zunächst einmal ist Vedanta keine Philosophie.
Eine Philosophie ist etwas, das sich ein Mensch oder eine
Gruppe von Menschen ausgedacht hat. Sie ist von Natur aus
begrenzt, und besteht aus einer Weltanschauung oder einer Reihe
von Ideen und Konzepten, die durch die persönlichen Annahmen
und Vorurteile einer Person gefiltert werden. Außerdem steht
sie immer im Widerspruch zu konkurrierenden Philosophien.
Vedanta ist nicht das Werk einer einzelnen Person oder einer
Gruppe von Menschen. Er ist außerdem viel mehr als eine
Philosophie. Er ist das, was im Sanskrit als Pramana bezeichnet
wird.
Ein Pramana ist ein Mittel der Erkenntnis, des Wissens.
Im Fall von Vedanta ist die betreffende Erkenntnis der König
oder die Königin allen Wissens: die
Selbsterkenntnis.
Man könnte sich fragen, warum sollte eigentlich irgend jemand
ein Mittel zur Selbsterkenntnis brauchen?
Schließlich gehen die meisten Menschen davon aus, dass sie
bereits wissen, wer sie sind. Dieser Typ ist Mike, und diese
Frau ist Beverly. Einer ist ein Buchhalter, der einen BMW
fährt, und jemand anderes ein Lehrer, der ein Motorrad fährt.
Eine mag Pizza und ein anderer Gin.
Aber denke einen Moment lang über Folgendes nach:
Was wäre, wenn alles, was du jemals über dich gedacht oder für
wahr gehalten hast, in Wirklichkeit nichts weiter ist, als ein
Gedanke und eine Vermutung?
Was, wenn die Person, für die du dich immer gehalten hast,
nichts weiter ist, als ein Konzept in deinem Kopf? Und was,
wenn dieses Konzept tatsächlich die Quelle all deines Leidens
und deiner Unzufriedenheit im Leben ist?
Eine Frage der Identität
Was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, ist seine
Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Tiere sind intelligent und empfindungsfähig und verfügen über
einen rudimentären Intellekt. Demgegenüber sind wir Menschen
insofern einzigartig, als wir ein ausgeprägtes Ich- oder
Ego-Empfinden haben. Wir haben ein Empfinden für das, was wir
denken, zu sein und was wir sein sollten. Dies hat es uns
ermöglicht, die dominierende Spezies auf diesem Planeten zu
werden, Zivilisationen aufzubauen und zu bewahren sowie zu
erkunden, zu erforschen und Neues zu erfinden.
Es ist jedoch auch die Ursache unserer größten Fessel.
Vedanta zufolge liegt die Quelle unseres Leidens in der
Fehlidentifikation mit einem begrenzten und fehlerhaften
Empfinden unseres Selbst.
Wie der verstorbene großartige Vedanta-Lehrer Swami Dayananda
sagte:
„Es ist die Herrlichkeit des Menschen, dass er sich seiner
selbst bewusst ist. Das Selbst, dessen er sich bewusst ist, ist
jedoch kein vollwertiges, ausreichendes Selbst. Es ist
bedauerlicherweise ein unzulängliches, unvollkommenes
Selbst.“
Das Problem mit der Selbsterkenntnis ist ganz einfach: Das
'Selbst', dessen wir uns bewusst sind, ist möglicherweise nicht
akzeptabel für uns. Wahrscheinlich ist es sogar ein höchst
unbefriedigendes Selbst. Wenn wir glauben, dass wir unser
Körper, unser Geist, unsere Emotionen oder unser Ego sind,
erleben wir unweigerlich ein Gefühl von Begrenzung, denn all
diese Aspekte sind von Natur aus begrenzt.
Dieses Pseudo-Selbst, das bei näherer Untersuchung nur ein
Haufen unhinterfragter Annahmen ist, verschleiert unsere wahre
Natur.
Vedanta erklärt uns, dass wir weit mehr sind, als wir uns
jemals vorzustellen gewagt hätten - dass wir bereits
vollständig und vollkommen sind - und dass unser Gefühl der
Begrenzung aus der Identifikation mit dem resultiert, was wir
nicht sind.
Vedanta ist vielleicht die älteste Form der Psychologie auf
diesem Planeten. Vedanta ist eine Wissenschaft des
Bewusstseins, die uns mit unfehlbarer Logik hilft, die
Natur des Selbst, des Bewusstseins und der Realität selbst zu
verstehen.
Universell ausgerichtet, befasst Vedanta sich mit den Fragen,
mit denen die Menschheit seit Anbeginn der Zeit gerungen
hat:
Wer bin ich?
Was bin ich?
Woher stammt das Universum?
Was ist der Sinn des Lebens?
Auch hier ist Vedanta keine Philosophie. Es nicht einer
einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen zuzuschreiben.
Es ist ein Wissensschatz, der im Laufe der Zeit offenbart,
sorgfältig ausgearbeitet und über Jahrtausende bewahrt
wurde.
Vedanta ist auch keine Religion. Obwohl es um theologische
Themen geht, funktioniert Vedanta ohne jeglichen religiösen
Schnickschnack. Deshalb ist es nicht notwendig, dem Hinduismus
oder zu einer anderen Religion anzugehören.
Alles, was man braucht, ist ein offener und hinterfragender
Geist.
Das Ende des Wissens
Das Wort Vedanta leitet sich von den Wörtern Veda und Anta ab,
die zusammen „das Ende des Wissens“ bedeuten.
Vedanta basiert auf den Lehren der alten indischen Veden, die
die Grundlage für Sanatana-Dharma (was wir „Hinduismus“ nennen)
bilden.
Diese Texte, vier an der Zahl, datieren Tausende von Jahren
zurück und gelten als „offenbartes Wissen“. Mit anderen Worten,
sie sind nicht ein Produkt des menschlichen Geistes, sondern
wurden von den alten Rishis (Sehern) in tiefer Meditation
empfangen und über unzählige Generationen hinweg in Form von
Sanskrit-Mantras weitergegeben. Dies erfolgte auf eine Weise,
die die Lehre vor Veränderungen und Verfälschungen geschützt
hat.
Die Veden lassen sich in zwei Teile unterteilen.
Der erste und umfangreichste Abschnitt jedes Vedas wird
Karma-Kanda genannt. Hier geht es um die Erfüllung der eigenen
irdischen Ziele und Wünsche. Darin werden Rituale und
Handlungen beschrieben, die bei jedem Aspekt des weltlichen
Lebens helfen sollen. Man könnte sagen, dass sich der
Karma-Kanda der Veden mit den unteren Stufen von Maslows
Bedürfnispyramide befasst, der Basis des weltlichen
Lebens.
Der zweite Abschnitt, der Jnana-Kanda, erscheint in Form der
Upanishaden.
Das Wort „Upanishad“ bedeutet „zu Füßen sitzen“. In diesem
Zusammenhang zu Füßen eines Lehrers mit vedantischem Wissen.
Dieses Wissen zielt nicht auf weltliche Bestrebungen ab,
sondern auf spirituelle Verwirklichung in Form von
Selbsterkenntnis und Befreiung.
In Form von Dialogen und poetischen Geschichten behandeln die
Upanishaden Fragen der Existenz, der Realität und der Natur des
Selbst. Es gibt über zweihundert bekannte Upanishaden, von
denen zehn als Haupt-Upanishaden betrachtet werden.
Vedanta stellt eine systematische Entfaltung der Lehren
der Upanishaden dar. Er befasst sich mit der Frage der
Selbstidentität und der Befreiung von weltlichem
Leid.
Da hier die Lehren derjenigen Upanishaden, die den Abschluss
eines jeden Veda bilden, herausgearbeitet werden, wird es als
Vedanta (das Ende der Veden) bezeichnet. Ein anderes
Verständnis des Begriffs Vedanta („das Ende des Wissens“)
besteht darin, dass er jede weitere Suche nach Wissen beendet.
Denn der Gegenstand von Vedanta ist Selbsterkenntnis, Raja
Vidya („der König des Wissens“). Wissen, das nichts mehr zu
wissen oder zu erreichen übrig lässt.
Der dreifache Kanon
Um die Lehren der Upanishaden zu vervollkommnen und zu
verdeutlichen, wurde zusätzliche Literatur geschaffen, um die
Lehren zu erläutern und alle scheinbaren Widersprüche
aufzulösen.
Die wichtigsten von ihnen sind im Vedanta die Brahma-Sutras und
die Bhagavad Gita. Zusammen mit den Upanishaden bilden sie das,
was als „der dreifache Kanon des Vedanta“ bezeichnet
wird.
Die Badarayana zugeschriebenen Brahma-Sutras sind eine Reihe
von Aphorismen, die die Lehren der Upanishaden umfassend und
gründlich erläutern und klarstellen.
Die Bhagavad Gita gehört zu Vyasasas großem Mahabharata-Epos
und ist eines der bekanntesten Werke der indischen
Literatur.
Das Buch spielt auf einem Schlachtfeld am Vorabend einer großen
Schlacht und ist in Form eines Dialogs zwischen dem edlen
Krieger Arjuna und seinem Wagenlenker und Lehrer Krishna, einem
Avatar bzw. eine Verkörperung des Göttlichen,
geschrieben.
Anhand Krishnas Lehren behandelt der Text die Themen Handlungen
und Verpflichtungen, Meditation, Hingabe, Verständnis der Natur
des Selbst und Erlangen von Befreiung und Erleuchtung.
Die Gita ist ein bedeutsamer Text, der die Kernaussagen des
Vedanta in einer bemerkenswert poetischen und zugleich
praktischen Weise wunderschön darlegt.
Der Einfluss von Shankara
Einer der wichtigsten Beitragenden zum Vedanta war im 8.
Jahrhundert der Visionär Adi Shankara, auch Shankaracharya
genannt (acharya bedeutet „großer Lehrer“ in Sanskrit).
Shankara reiste durch ganz Indien, gründete Schulen, beteiligte
sich an öffentlichen Debatten und verdichtete durch seine
umfangreichen Kommentare und ein voluminöses Werk die Lehre zu
dem, was sie heute ist.
Zu Shankaras Zeit war das, was wir als Hinduismus bezeichnen
(der Begriff „Hinduismus“ wurde in Wirklichkeit von westlichen
Anthropologen in Bezug auf das, was besser als
„Sanatana-Dharma“ bekannt ist, geschaffen), eine heterogene
Mischung verschiedener Traditionen auf Grundlage der Veden. Vor
allem in der Brahmanen- oder Priesterkaste war Korruption weit
verbreitet, und die Botschaft der Veden wurde verfälscht.
In seinem kurzen Leben reformierte und vereinheitlichte
Shankara das Sanatana-Dharma, das zu dieser Zeit zunehmend vom
Buddhismus verdrängt wurde, der seinerseits ein Ableger der
Veden war.
Mit seinem messerscharfen Intellekt brillierte Shankara in den
öffentlichen philosophischen Debatten der damaligen Zeit. Die
Verlierer dieser Debatten mussten die Position des Siegers
akzeptieren oder den Schwanz einziehen und die Stadt
verlassen.
Als lautstarker Kritiker von Elementen der buddhistischen Lehre
pflegte Shankara bei diesen öffentlichen Debatten buddhistische
Gelehrte niederzuschmettern. Der nachfolgende Niedergang des
Buddhismus in Indien wird oft Shankara zugeschrieben, ebenso
die anschließende Wiederbelebung und Renaissance des
Sanatana-Dharma.
Dennoch vermuten manche, dass Elemente der buddhistischen
Philosophie dabei geholfen haben, Shankaras Reformation dessen,
was als Advaita Vedanta bekannt wurde, zu gestalten.
Das Wort „Advaita“ bedeutet „nicht-zwei“ und bezieht sich auf
die nicht-duale Natur der Wirklichkeit, wie sie von den
Upanishaden offenbart wurde.
Shankaras Kommentare zu den Upanishaden, der Bhagavad Gita und
den Brahma-Sutras gelten als wegweisende Schriften und trugen
dazu bei, die Lehre zu einer klaren und vollständig
erarbeiteten Vision zu konsolidieren.
In den Jahrhunderten nach Shankara sind einige Ableger des
Vedanta entstanden, wie z.B. die Dvaita- und
Vashishtadvaita-Schulen, die eine dualistischere Interpretation
der Upanischaden vertreten. Shankaras Advaita Vedanta bleibt
die älteste, einflussreichste und für viele die maßgebende
Präsentation des Vedanta.
Eine vollständige Lehre
Vedanta wird auf eine strukturierte Weise gelehrt.
Die Lehre entfaltet sich als eine spezifische Abfolge von
Logik, die den Schüler nicht nur zum Verstehen, sondern zur
vollständigen Integration und Verwirklichung der Essenz der
Lehre befähigt.
Das Resultat der Lehre ist ein völlig anderes Verständnis von
sich selbst und dem Leben. Es verändert für immer deine
Beziehung zur Welt der Objekte.
Anstatt auf äußere Objekte wie Menschen, Situationen
und Errungenschaften für flüchtige Momente des Glücks zu bauen,
entdeckst du eine grenzenlose Quelle des Glücks und der
Ganzheit in deinem eigenen Selbst.
Dies wird Moksha oder Befreiung genannt. Manche Menschen nennen
es Erleuchtung. Ich nenne es einfach Freiheit. In gewisser
Weise ist Vedanta eine Landkarte für Freiheit.
Vedanta wird traditionell nur solchen gelehrt, die reif sind,
die Lehre zu hören. Es macht wenig Sinn, hineinzutauchen und
wieder auszusteigen, gelegentlich Bücher zu lesen und den einen
oder anderen Vortrag zu besuchen.
Man muss den Geist zuerst darauf vorbereiten, die Lehre zu
erfassen und zu verinnerlichen. Diese Lehre mag auf den ersten
Blick radikal und kontraintuitiv erscheinen, aber nach
gründlicher Reflektion macht sie vollkommen Sinn.
Vedanta erfordert einen klaren und offenen
Geist.
Du musst bereit sein, alles loszulassen, was du bereits zu
wissen glaubst, und die Lehre, so wie sie von einem erfahrenen
Vedanta-Lehrer entfaltet wird, sorgfältig zu durchdenken.
Insofern ist Vedanta nicht für jedermann geeignet, denn es
erfordert den Einsatz von Zeit und Mühe. Bis vor kurzem war
Vedanta so etwas wie ein geschlossenes System, das in Indien
nur von qualifizierten Lehrern unterrichtet und in Sanskrit
vermittelt wurde. Während Yoga und Buddhismus im vergangenen
Jahrhundert problemlos in den Westen gebracht werden konnten,
war der Einfluss von Vedanta eher subtil.
Obwohl nur wenige in der breiten Öffentlichkeit jemals den
Begriff „Vedanta“ gehört haben, ist sein Einfluss dennoch
allgegenwärtig. Die Kernbegriffe des Vedanta haben eine
Vielzahl anderer Lehren zutiefst beeinflusst und inspiriert,
darunter den Buddhismus und im Westen die theosophische
Bewegung und ihre New-Age-Ableger, die New-Thought-Bewegung und
viele westliche Denker und Autoren.
In der aktuellen Spiritualität ist die Szene der „Nondualität“
(zu der Lehrer wie Eckhart Tolle, Adyashanti und Mooji gehören)
im Wesentlichen eine Neuverpackung der zentralen Konzepte des
Vedanta. Diese Advaita- (oder Neo-Advaita-) Lehrer bedienen
sich der grundlegenden Elemente des Vedanta. Ihre Lehren haben
einen gewissen Wert, der jedoch eingeschränkt ist, weil sie es
nicht schaffen, ein vollständiges Bild zu vermitteln.
Vedanta ist ein System. Es funktioniert, indem man der Lehre
vom Anfang bis zum Ende der Reihe nach folgt. Es macht keinen
Sinn, vorwärts zu springen, bevor die Logik jeder Stufe
verstanden und akzeptiert worden ist.
Dieser Ansatz gefällt nicht jedem. Viele westliche spirituelle
Sucher bevorzugen einen rebellischeren Ansatz, „folge deinen
eigenen Vibes“. Sie glauben, dass Erleuchtung nicht gelehrt
werden kann, dass Worte nicht ausreichen und die Wahrheit nur
von innen kommt. Für sie scheint es nicht sehr punkig zu sein,
sich hinzusetzen und jemandem zuzuhören, der aus
jahrhundertealten Texten lehrt.
Trotzdem ist dies die Art und Weise, wie die Lehre funktioniert
- und sie funktioniert!
Die Problematik, die auftritt, wenn man seinem eigenen Weg
folgt und nur dem folgt, bei dem man Resonanz empfindet, ist
der Todfeind eines unterscheidungsfähigen Geistes:
Bestätigungsfehler (die Neigung, Informationen so auszuwählen,
zu ermitteln und zu interpretieren, dass diese die eigenen
Erwartungen erfüllen).
Bestätigungsfehler (Voreingenommenheit) sind eines der
größten Hindernisse für die
Selbsterkenntnis.
Aufgrund dieser fest verdrahteten geistigen Tendenz sucht oder
beachtet man nur das, was man ohnehin schon glaubt und womit
man einverstanden ist. Anstatt zu lernen, verbringen wir also
unser Leben damit, unsere Unwissenheit zu verstärken. Und diese
Unwissenheit ist, wie Vedanta betont, der Kern unseres
Leidens.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es im Vedanta darum geht,
gedankenlos eine neue Weltanschauung, Doktrin oder eine Reihe
von Überzeugungen anzunehmen.
Es wird von dir als Student nicht erwartet, dass du blind
akzeptierst, was dir beigebracht wird. Auf jeder Stufe
reflektierst und erwägst du sorgfältig die Lehren, um ihre
Richtigkeit zu überprüfen. Es wird von dir erwartet, sie in
Frage zu stellen, Zweifel zu klären und alles von allen Seiten
zu betrachten.
Erfahrung und Erkenntnis
Letztendlich geraten die meisten aufrichtigen spirituellen
Sucher in eine Sackgasse.
Sie kommen an einen Punkt, an dem ihnen klar wird, dass sie
sich selbst nach Jahrzehnten der Meditation, des Yoga und
vielleicht gelegentlichen Samadhis und Offenbarungen immer noch
kein bisschen verändert haben. Ihre spirituellen Erfahrungen
kommen und gehen, aber ihre Selbsterfahrung und ihr Leben - und
ihr existentielles Leiden - haben sich nicht wesentlich
verändert.
Es braucht einen reifen Sucher, um zuzugeben, dass spirituelle
Erfahrungen, so glückselig und wundervoll sie auch sein mögen,
kommen und gehen und selten dauerhafte Veränderungen
bewirken.
Erfahrungen beenden das Suchen nicht. Wenn überhaupt, dann
verstärken sie das Suchen und damit das Ego, denn in dem
Moment, in dem man einen Geschmack von Glückseligkeit genießt
und er sich wieder verflüchtigt, sehnt man sich sofort nach
mehr.
Solange dein Glück auf psychologischer Ebene von irgendeinem
äußeren Faktor abhängig ist, bleibst du im Rad von Samsara
gefangen - einem sich selbst aufrechterhaltenden Kreislauf von
Suchen, Begehren und Unzufriedenheit.
Erfahrung, also das Ergebnis von Handlungen, kann keine
dauerhafte Veränderung bewirken.
Erfahrung kann dauerhafte Veränderungen nicht bewirken, weil
sie, wie alles Wahrnehmbare, an Zeit gebunden ist. Daher
erklärt Vedanta, dass der Versuch, Objekte und Erfahrungen zu
manipulieren (und dazu gehört auch die Manipulation des
Geistes), nicht zu dauerhafter Freiheit führen kann.
Was jedoch zu dauerhafter Freiheit führt, ist
Erkenntnis/Wissen.
Vedanta behauptet, dass unser Leiden - das Gefühl, ein
unzulänglicher, begrenzter Mensch zu sein, der ständig Objekten
und Erfahrungen nachjagen muss, um glücklich und vollständig zu
sein - auf der Unkenntnis unserer Natur beruht.
Das einzige Heilmittel für Unwissenheit ist Wissen. Wissen
zerstört die Unwissenheit so schnell, wie Licht Dunkelheit
vernichtet.
Vedanta ist bekannt als Jnana-Yoga, der Yoga des
Wissens.
Es erfordert einen reifen Geist.
Vedanta lehnt Meditation und Yoga nicht ab. Tatsächlich werden
Meditation und Yoga als notwendige Praktiken (Sadhanas)
angesehen, um den Geist darauf vorzubereiten, die Lehre zu
empfangen. Diese Praktiken werden nicht als Selbstzweck
betrachtet, sondern als notwendige Mittel zur Kultivierung
eines reinen und qualifizierten Geistes.
Es gibt einen Grund dafür, dass von den vielen Hunderttausenden
von Suchenden auf der Welt nur einige wenige Erleuchtung
„erlangen“. Das liegt nicht an der willkürlichen Hand des
Schicksals. Es liegt daran, dass nur diese wenigen die
notwendige Vorarbeit geleistet haben, um einen hinreichend
ruhigen, unterscheidungsfähigen, leidenschaftslosen und klaren
Geist zu kultivieren. Das ist die wichtigste Qualifikation für
Vedanta.
Du brauchst dir aber keine Sorgen zu machen, wenn du noch nicht
'qualifiziert' bist. Vedanta vermittelt Karma-Yoga, Bhakti-Yoga
und Meditation. Diese Mittel dienen dazu, den Geist zu meistern
und unsere tief verwurzelten Begierden und Abneigungen zu
neutralisieren, die sich im Laufe unseres Lebens angesammelt
haben, um für uns eine Welt des Leidens zu erschaffen.
Eine nicht-duale Wirklichkeit
Wir leben in einer Welt von vermeintlicher Dualität. Einer
Dualität von Subjekt und Objekt, von mir, dir und der
Welt.
Die wesentliche Lehre des Vedanta ist jedoch, dass die Realität
trotz allem Anschein in Wirklichkeit nicht-dual ist.
All die scheinbar voneinander getrennten Wesen und Bestandteile
dieser Dualität sind in Wirklichkeit Ausdruck von - und
Erscheinungen in - demselben universellen Bewusstsein (Brahman,
dem Selbst).
Darüber hinaus sind wir von diesem Bewusstsein nicht
verschieden. Tatsächlich ist es die Essenz dessen, was wir
sind.
Denk mal über Träume und die Traumwelt nach. Wenn du schläfst,
erscheint ein ganzes Universum von Formen, Orten, Objekten und
Menschen vor dir, und du identifizierst dich mit einem
bestimmten Teil davon. Alles im Traum ist jedoch nur ein
Ausdruck von - und eine Erscheinung in - dem träumenden
Bewusstsein. Außerhalb von Bewusstsein hat der Traum keine
Existenz oder Realität.
Alles, was du erlebst - die Welt der Objekte, Formen
und Erfahrungen - erscheint innerhalb von
Bewusstsein.
Es ist tatsächlich unmöglich, etwas außerhalb von Bewusstsein
zu erfahren.
Nimm dir einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken. In jedem
Augenblick übermitteln deine Sinne alle möglichen Daten.
Objekte nimmst du als außerhalb von dir wahr: Wände, Möbel,
Häuser, Bäume, Menschen, Berge und Wolken.
Aber WO erfährst du diese Objekte tatsächlich?
Es mag so erscheinen, als würdest du sie außerhalb von dir
selbst erfahren.
Aber in Wirklichkeit übermitteln die Sinne lediglich Signale,
die es dir ermöglichen, Repräsentationen dieser Objekte in
deinem Geist zu erleben, in deinem eigenen Bewusstsein.
Außerhalb von Bewusstsein kannst du nichts
erfahren.
Bewusstsein ist der Urgrund deiner Existenz, und die
Basis deiner Realität.
Der Inhalt deines Bewusstseins ändert sich ständig, aber
Bewusstsein selbst bleibt unveränderlich und
unbegrenzt.
Bewusstsein, reines Gewahrsein, ist der ewige Faktor, der
niemals geleugnet werden kann, die eine Sache, die dir niemals
genommen werden kann.
Es braucht Zeit, um dieses radikal andere Verständnis der
Wirklichkeit vollständig zu erfassen und zu integrieren. Doch
die Lehren des Vedanta beweisen auf vielfältige Weise und mit
unfehlbarer Logik, dass alles, was du jemals erfährst - und
alles, was du letztlich schon immer bist - in Wirklichkeit
Bewusstsein ist.
Dadurch löst sich mit der Zeit deine Identifikation mit der
begrenzten Körper-Geist-Ego-Einheit auf, für die du dich selbst
gehalten hast. Sie ist nur eine Überlagerung in Bewusstsein und
im wahrsten Sinne des Wortes die Quelle all deiner
Probleme.
Du entdeckst eine weitaus umfassendere Identität als
Bewusstsein, und das Ergebnis ist die Freiheit von den Leiden
Samsaras.
Die Veden erklären diese Freiheit, Moksha, zum höchsten Ziel
des menschlichen Lebens.
In Wirklichkeit gibt es nichts besonders mystisches oder
magisches an Erleuchtung. Es ist einfach ein Gefühl frei von
Begrenzungen, frei von Leiden, hervorgerufen durch das Wissen
um das eigene Selbst und die Realität, wie sie tatsächlich
ist.
In einer Welt, in der Wissen Macht ist, ist ultimatives Wissen
- Selbsterkenntnis - nichts weniger als Befreiung.
EINE EINFÜHRUNG IN DEN YOGA DER SELBSTERKENNTNIS
Original von Rory Mackay (Übersetzung Joa)
Was ist Vedanta?
Diese Frage wird mir oft gestellt.
Meine Antwort hängt meistens davon ab, wer die Frage stellt. Für die breite Masse antworte ich oft, Vedanta sei die philosophische Grundlage des Hinduismus. Diese Antwort können die meisten Menschen akzeptieren, auch wenn sie nicht ganz exakt ist.
Zunächst einmal ist Vedanta keine Philosophie.
Eine Philosophie ist etwas, das sich ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen ausgedacht hat. Sie ist von Natur aus begrenzt, und besteht aus einer Weltanschauung oder einer Reihe von Ideen und Konzepten, die durch die persönlichen Annahmen und Vorurteile einer Person gefiltert werden. Außerdem steht sie immer im Widerspruch zu konkurrierenden Philosophien.
Vedanta ist nicht das Werk einer einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen. Er ist außerdem viel mehr als eine Philosophie. Er ist das, was im Sanskrit als Pramana bezeichnet wird.
Ein Pramana ist ein Mittel der Erkenntnis, des Wissens. Im Fall von Vedanta ist die betreffende Erkenntnis der König oder die Königin allen Wissens: die Selbsterkenntnis.
Man könnte sich fragen, warum sollte eigentlich irgend jemand ein Mittel zur Selbsterkenntnis brauchen?
Schließlich gehen die meisten Menschen davon aus, dass sie bereits wissen, wer sie sind. Dieser Typ ist Mike, und diese Frau ist Beverly. Einer ist ein Buchhalter, der einen BMW fährt, und jemand anderes ein Lehrer, der ein Motorrad fährt. Eine mag Pizza und ein anderer Gin.
Aber denke einen Moment lang über Folgendes nach:
Was wäre, wenn alles, was du jemals über dich gedacht oder für wahr gehalten hast, in Wirklichkeit nichts weiter ist, als ein Gedanke und eine Vermutung?
Was, wenn die Person, für die du dich immer gehalten hast, nichts weiter ist, als ein Konzept in deinem Kopf? Und was, wenn dieses Konzept tatsächlich die Quelle all deines Leidens und deiner Unzufriedenheit im Leben ist?
Eine Frage der Identität
Was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, ist seine Fähigkeit zur Selbstreflexion.
Tiere sind intelligent und empfindungsfähig und verfügen über einen rudimentären Intellekt. Demgegenüber sind wir Menschen insofern einzigartig, als wir ein ausgeprägtes Ich- oder Ego-Empfinden haben. Wir haben ein Empfinden für das, was wir denken, zu sein und was wir sein sollten. Dies hat es uns ermöglicht, die dominierende Spezies auf diesem Planeten zu werden, Zivilisationen aufzubauen und zu bewahren sowie zu erkunden, zu erforschen und Neues zu erfinden.
Es ist jedoch auch die Ursache unserer größten Fessel.
Vedanta zufolge liegt die Quelle unseres Leidens in der Fehlidentifikation mit einem begrenzten und fehlerhaften Empfinden unseres Selbst.
Wie der verstorbene großartige Vedanta-Lehrer Swami Dayananda sagte:
„Es ist die Herrlichkeit des Menschen, dass er sich seiner selbst bewusst ist. Das Selbst, dessen er sich bewusst ist, ist jedoch kein vollwertiges, ausreichendes Selbst. Es ist bedauerlicherweise ein unzulängliches, unvollkommenes Selbst.“
Das Problem mit der Selbsterkenntnis ist ganz einfach: Das 'Selbst', dessen wir uns bewusst sind, ist möglicherweise nicht akzeptabel für uns. Wahrscheinlich ist es sogar ein höchst unbefriedigendes Selbst. Wenn wir glauben, dass wir unser Körper, unser Geist, unsere Emotionen oder unser Ego sind, erleben wir unweigerlich ein Gefühl von Begrenzung, denn all diese Aspekte sind von Natur aus begrenzt.
Dieses Pseudo-Selbst, das bei näherer Untersuchung nur ein Haufen unhinterfragter Annahmen ist, verschleiert unsere wahre Natur.
Vedanta erklärt uns, dass wir weit mehr sind, als wir uns jemals vorzustellen gewagt hätten - dass wir bereits vollständig und vollkommen sind - und dass unser Gefühl der Begrenzung aus der Identifikation mit dem resultiert, was wir nicht sind.
Vedanta ist vielleicht die älteste Form der Psychologie auf diesem Planeten. Vedanta ist eine Wissenschaft des Bewusstseins, die uns mit unfehlbarer Logik hilft, die Natur des Selbst, des Bewusstseins und der Realität selbst zu verstehen.
Universell ausgerichtet, befasst Vedanta sich mit den Fragen, mit denen die Menschheit seit Anbeginn der Zeit gerungen hat:
Wer bin ich?
Was bin ich?
Woher stammt das Universum?
Was ist der Sinn des Lebens?
Auch hier ist Vedanta keine Philosophie. Es nicht einer einzelnen Person oder einer Gruppe von Menschen zuzuschreiben. Es ist ein Wissensschatz, der im Laufe der Zeit offenbart, sorgfältig ausgearbeitet und über Jahrtausende bewahrt wurde.
Vedanta ist auch keine Religion. Obwohl es um theologische Themen geht, funktioniert Vedanta ohne jeglichen religiösen Schnickschnack. Deshalb ist es nicht notwendig, dem Hinduismus oder zu einer anderen Religion anzugehören.
Alles, was man braucht, ist ein offener und hinterfragender Geist.
Das Ende des Wissens
Das Wort Vedanta leitet sich von den Wörtern Veda und Anta ab, die zusammen „das Ende des Wissens“ bedeuten.
Vedanta basiert auf den Lehren der alten indischen Veden, die die Grundlage für Sanatana-Dharma (was wir „Hinduismus“ nennen) bilden.
Diese Texte, vier an der Zahl, datieren Tausende von Jahren zurück und gelten als „offenbartes Wissen“. Mit anderen Worten, sie sind nicht ein Produkt des menschlichen Geistes, sondern wurden von den alten Rishis (Sehern) in tiefer Meditation empfangen und über unzählige Generationen hinweg in Form von Sanskrit-Mantras weitergegeben. Dies erfolgte auf eine Weise, die die Lehre vor Veränderungen und Verfälschungen geschützt hat.
Die Veden lassen sich in zwei Teile unterteilen.
Der erste und umfangreichste Abschnitt jedes Vedas wird Karma-Kanda genannt. Hier geht es um die Erfüllung der eigenen irdischen Ziele und Wünsche. Darin werden Rituale und Handlungen beschrieben, die bei jedem Aspekt des weltlichen Lebens helfen sollen. Man könnte sagen, dass sich der Karma-Kanda der Veden mit den unteren Stufen von Maslows Bedürfnispyramide befasst, der Basis des weltlichen Lebens.
Der zweite Abschnitt, der Jnana-Kanda, erscheint in Form der Upanishaden.
Das Wort „Upanishad“ bedeutet „zu Füßen sitzen“. In diesem Zusammenhang zu Füßen eines Lehrers mit vedantischem Wissen. Dieses Wissen zielt nicht auf weltliche Bestrebungen ab, sondern auf spirituelle Verwirklichung in Form von Selbsterkenntnis und Befreiung.
In Form von Dialogen und poetischen Geschichten behandeln die Upanishaden Fragen der Existenz, der Realität und der Natur des Selbst. Es gibt über zweihundert bekannte Upanishaden, von denen zehn als Haupt-Upanishaden betrachtet werden.
Vedanta stellt eine systematische Entfaltung der Lehren der Upanishaden dar. Er befasst sich mit der Frage der Selbstidentität und der Befreiung von weltlichem Leid.
Da hier die Lehren derjenigen Upanishaden, die den Abschluss eines jeden Veda bilden, herausgearbeitet werden, wird es als Vedanta (das Ende der Veden) bezeichnet. Ein anderes Verständnis des Begriffs Vedanta („das Ende des Wissens“) besteht darin, dass er jede weitere Suche nach Wissen beendet. Denn der Gegenstand von Vedanta ist Selbsterkenntnis, Raja Vidya („der König des Wissens“). Wissen, das nichts mehr zu wissen oder zu erreichen übrig lässt.
Der dreifache Kanon
Um die Lehren der Upanishaden zu vervollkommnen und zu verdeutlichen, wurde zusätzliche Literatur geschaffen, um die Lehren zu erläutern und alle scheinbaren Widersprüche aufzulösen.
Die wichtigsten von ihnen sind im Vedanta die Brahma-Sutras und die Bhagavad Gita. Zusammen mit den Upanishaden bilden sie das, was als „der dreifache Kanon des Vedanta“ bezeichnet wird.
Die Badarayana zugeschriebenen Brahma-Sutras sind eine Reihe von Aphorismen, die die Lehren der Upanishaden umfassend und gründlich erläutern und klarstellen.
Die Bhagavad Gita gehört zu Vyasasas großem Mahabharata-Epos und ist eines der bekanntesten Werke der indischen Literatur.
Das Buch spielt auf einem Schlachtfeld am Vorabend einer großen Schlacht und ist in Form eines Dialogs zwischen dem edlen Krieger Arjuna und seinem Wagenlenker und Lehrer Krishna, einem Avatar bzw. eine Verkörperung des Göttlichen, geschrieben.
Anhand Krishnas Lehren behandelt der Text die Themen Handlungen und Verpflichtungen, Meditation, Hingabe, Verständnis der Natur des Selbst und Erlangen von Befreiung und Erleuchtung.
Die Gita ist ein bedeutsamer Text, der die Kernaussagen des Vedanta in einer bemerkenswert poetischen und zugleich praktischen Weise wunderschön darlegt.
Der Einfluss von Shankara
Einer der wichtigsten Beitragenden zum Vedanta war im 8. Jahrhundert der Visionär Adi Shankara, auch Shankaracharya genannt (acharya bedeutet „großer Lehrer“ in Sanskrit).
Shankara reiste durch ganz Indien, gründete Schulen, beteiligte sich an öffentlichen Debatten und verdichtete durch seine umfangreichen Kommentare und ein voluminöses Werk die Lehre zu dem, was sie heute ist.
Zu Shankaras Zeit war das, was wir als Hinduismus bezeichnen (der Begriff „Hinduismus“ wurde in Wirklichkeit von westlichen Anthropologen in Bezug auf das, was besser als „Sanatana-Dharma“ bekannt ist, geschaffen), eine heterogene Mischung verschiedener Traditionen auf Grundlage der Veden. Vor allem in der Brahmanen- oder Priesterkaste war Korruption weit verbreitet, und die Botschaft der Veden wurde verfälscht.
In seinem kurzen Leben reformierte und vereinheitlichte Shankara das Sanatana-Dharma, das zu dieser Zeit zunehmend vom Buddhismus verdrängt wurde, der seinerseits ein Ableger der Veden war.
Mit seinem messerscharfen Intellekt brillierte Shankara in den öffentlichen philosophischen Debatten der damaligen Zeit. Die Verlierer dieser Debatten mussten die Position des Siegers akzeptieren oder den Schwanz einziehen und die Stadt verlassen.
Als lautstarker Kritiker von Elementen der buddhistischen Lehre pflegte Shankara bei diesen öffentlichen Debatten buddhistische Gelehrte niederzuschmettern. Der nachfolgende Niedergang des Buddhismus in Indien wird oft Shankara zugeschrieben, ebenso die anschließende Wiederbelebung und Renaissance des Sanatana-Dharma.
Dennoch vermuten manche, dass Elemente der buddhistischen Philosophie dabei geholfen haben, Shankaras Reformation dessen, was als Advaita Vedanta bekannt wurde, zu gestalten.
Das Wort „Advaita“ bedeutet „nicht-zwei“ und bezieht sich auf die nicht-duale Natur der Wirklichkeit, wie sie von den Upanishaden offenbart wurde.
Shankaras Kommentare zu den Upanishaden, der Bhagavad Gita und den Brahma-Sutras gelten als wegweisende Schriften und trugen dazu bei, die Lehre zu einer klaren und vollständig erarbeiteten Vision zu konsolidieren.
In den Jahrhunderten nach Shankara sind einige Ableger des Vedanta entstanden, wie z.B. die Dvaita- und Vashishtadvaita-Schulen, die eine dualistischere Interpretation der Upanischaden vertreten. Shankaras Advaita Vedanta bleibt die älteste, einflussreichste und für viele die maßgebende Präsentation des Vedanta.
Eine vollständige Lehre
Vedanta wird auf eine strukturierte Weise gelehrt.
Die Lehre entfaltet sich als eine spezifische Abfolge von Logik, die den Schüler nicht nur zum Verstehen, sondern zur vollständigen Integration und Verwirklichung der Essenz der Lehre befähigt.
Das Resultat der Lehre ist ein völlig anderes Verständnis von sich selbst und dem Leben. Es verändert für immer deine Beziehung zur Welt der Objekte.
Anstatt auf äußere Objekte wie Menschen, Situationen und Errungenschaften für flüchtige Momente des Glücks zu bauen, entdeckst du eine grenzenlose Quelle des Glücks und der Ganzheit in deinem eigenen Selbst.
Dies wird Moksha oder Befreiung genannt. Manche Menschen nennen es Erleuchtung. Ich nenne es einfach Freiheit. In gewisser Weise ist Vedanta eine Landkarte für Freiheit.
Vedanta wird traditionell nur solchen gelehrt, die reif sind, die Lehre zu hören. Es macht wenig Sinn, hineinzutauchen und wieder auszusteigen, gelegentlich Bücher zu lesen und den einen oder anderen Vortrag zu besuchen.
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